Totholz fördert Biodiversität im Wald, schränkt aber die Holzversorgung und die Sicherheit der Waldbesucher ein. ThüringenForst versucht, alles unter einen Hut zu bringen
Erfurt (hs): Aufmerksamen Waldbesuchern ist es schon lange aufgefallen: Immer häufiger erscheinen heimische Wälder zunehmend unaufgeräumt. Von Sturm oder Schneelast abgebrochene Stämme werden nicht entfernt, umgebrochene Stamm- und Kronenteile bleiben am Waldboden liegen. Ja, selbst komplett abgestorbene Baumriesen belässt der Förster und die Motorsägen der Waldarbeiter bleiben in Ruhestellung. Aus der Ferne betrachtet, irritiert der Anblick solchen stehenden oder auch liegenden Totholzes. Zumal es stetig zunimmt. Schaut sich der Waldbesucher die vermeintlichen Versäumnisse einer „ordentlichen“ Waldwirtschaft aber näher an, erstaunt er bisweilen. Finden sich doch an diesen leblosen Gebilden seltene Pilzkonsolen, eine große Zahl durch Spechte gezimmerte Stammhöhlen, unter der Rinde wimmelt es geradezu von Insekten, Moose und Flechten besiedeln Äste und Zweige. Dieser Eindruck täuscht nicht: Totholz gehört zum natürlichen Waldzyklus und ist die Lebensgrundlage für zahlreiche, oft sogar seltene Arten. Und die moderne naturnahe Waldbewirtschaftung orientiert sich zunehmend am natürlichen Waldzyklus – ohne die Wälder als nachhaltige Quelle des Roh-, Bau- und Werkstoffes sowie Energieträgers Holz aus den Augen zu verlieren.
Totholz gehört zur naturnahen Waldbewirtschaftung
„Totholz ist eine wichtige Lebensgrundlage für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die auf gesunden und vitalen Bäumen wenig oder gar nicht vorkommen“, so Volker Gebhardt, ThüringenForst-Vorstand. Etwa ein Viertel aller Waldarten benötigt Totholz. Insekten und Pilze sind dabei die artenreichsten Vertreter, oft genug auf Laub- oder Nadelholz spezialisiert. Aber auch viele Moos-, Flechten- und Vogelarten sind ebenso Totholznutzer wie Fledermaus-, Amphibien- und Reptilienarten. Auch wie Totholz entsteht, spielt hierbei eine Rolle: Ein langsam absterbender Baum bietet eine andere Besiedlungsabfolge als etwa eine durch Sturm umgestürzte junge Fichte. Gerade der Holzdurchmesser beeinflusst die Habitateigenschaften von Totholz stark: Dicke, alte Bäume mit gröberer Rinde bieten Rindenbrütern besseren Unterschlupf. Das Holz dünner Bäume trocknet dafür schneller aus und bietet als Morsch-, Moder- oder Mulmholz jeweils anderen Totholzbewohnern ein Habitat. Kurzum: Auch Totholz sollte möglichst vielfältig und strukturreich zur Verfügung stehen.
Wieviel Totholz im Wald erfordert die naturnahe Waldwirtschaft?
Nach den Ergebnissen der aktuellen deutschlandweiten Bundeswaldinventur (BWI 2012) beträgt der Totholzanteil in Thüringens Wäldern rund 20 m3 pro Hektar. Dies ist ziemlich genau Bundesdurchschnitt. Als Schwellenwert für die meisten Totholzbewohner gelten 20 bis 50 m3. Das durchschnittliche Totholzvolumen in Thüringens Wäldern reicht folglich für den Erhalt vieler Totholzorganismen schon jetzt aus. Einzelne Totholzarten wie etwa der seltene Dreizehenspecht oder der holzzersetzende Trametenpilz benötigen allerdings 70 bis 120 m3Totholz. Selbst in Urwäldern differieren Totholzmengen zwischen einigen Dutzend und mehreren Hundert Kubikmetern pro Hektar. ThüringenForst verfolgt deshalb die örtlich begrenzte Erhöhung der absoluten Menge pro Hektar, sowie die Erhöhung des ökologisch wertvolleren Totholzanteils in starken Dimensionen – Qualität vor Quantität.
Kann Totholz gefährlich sein?
Herabfallende tote Äste oder umstürzende Baumriesen gefährden Waldbesucher und Forstpersonal. Deshalb ist für ThüringenForst Totholz entlang von Forststraßen, Wanderwegen oder Rastplätzen tabu. Ebenso erhöht Totholz im Wald die Brandgefahr. Totholz kann Wasserrinnen und Bäche stauen oder umleiten. Und nicht zuletzt birgt Totholz das Risiko, zum Anstieg von Forstschädlingen beizutragen, so etwa auf Windwurfflächen mit sehr hohem Totholzanteil.
„Die Gesellschaft stellt immer umfangreichere Forderungen an den Wald. Kompromisse sind oft die Folge. Die örtlich begrenzte Erhöhung von Totholzvorräten, außerhalb jeglicher Wegeinfrastruktur, als Baumgruppen verteilt, ist ein solcher Kompromiss“, so Gebhardt abschließend.