Waldbesitzer und Förster tun oft jahrzehntelang das Richtige. Und dann erst bekommt es einen Namen: Der Habitatbaum
Erfurt (hs): Erfahrene Waldbesitzer und Förster kennen es aus jahrzehntelanger Praxis: Bei Waldbegängen stoßen sie immer wieder auf erstaunlich alte, bisweilen skurril gewachsenen, von ausgebrochenen Kronenteilen gezeichneten, vom Blitz geteilte, teils rindenlose oder gar schon von Stammhöhlen durchlöcherten Baumriesen. Oft genug minutenlang bestaunt, hin und wieder auch fotografiert, freut man sich über solch ein pittoreskes Exemplar. Für den Holzverkauf völlig untauglich, lässt man den Baumriesen stehen, sollte von ihm keine offensichtliche Gefahr für Dritte ausgehen. Den gerade wirtschaftliche denkende Waldbesitzer und Förster wissen, dass derartige Bäume nur noch bedingt als Brennholzspender dienen können, dafür aber einen enormen ökologischen Wert in ihrem Wald darstellen. Im Rahmen der naturnahen Waldwirtschaft haben derartige Bäume einen Namen bekommen: Sie heißen Habitatbäume. Und ihre einzigartigen Merkmale werden als Mikrohabitate bezeichnet.
Risse, Spalte, Höhlen, Rinnen – Mikrohabitate haben viele Gesichter
„Ein Habitatbaum ist ein stehender Baum, der mindestens ein Mikrohabitat trägt. Darunter verstehen wir sehr kleine, abgegrenzte Lebensräume, die von vielen verschiedenen, teils hochspezialisierten Tier-, Pflanzen-, Flechten-und Pilzarten , oft nur zeitweise, genutzt werden“, so Volker Gebhardt, ThüringenForst-Vorstand. Ältere Förster sprechen von Horstbaum oder Biotopbaum, heute heißt es Habitatbaum. Risse, Spalten, Höhlen, Rinnen, Wucherungen, Totäste oder auch Astbruchstellen sind das vielfältige Gesicht dieser Mikrohabitate, die einen Baum zum Habitatbaum veredeln. Alter Wein in neuen Schläuchen wird da so mancher denken. Nicht ganz: Erst in den letzten Jahren wurde immer mehr verstanden, wie wichtig die Waldbiodiversität für das Funktionieren des Waldökosystems ist. „Habitatbäumen kommt hierbei eine Schlüsselstellung zu“, so Gebhardt. Da Wirtschaftswälder die natürliche Waldentwicklung nicht vollständig abbilden, ist das Vorhandensein von Habitatbäumen dort so wichtig. Und da kluge Waldbesitzer und Förster derartige Veteranen schon seit jeher geschont haben, dürfte dies auch in Zukunft so sein. Spielen sie doch zahlenmäßig eine geringe Rolle.
Je älter, dicker und höher die Habitatbäume, umso weniger braucht man
Je älter, dicker und höher die Habitatbäume, umso mehr Mikrohabitate können sie aufweisen. Eine alte Buche kann bis zu 100 Mikrohabitate vorweisen, eine junge Weißtanne mit einem Stamm in Bierkrugstärke gerademal zehn. Die Qualität bestimmt also maßgeblich die Quantität. ThüringenForst empfiehlt 5 bis 10 Habitatbäume pro Hektar. Dies entspricht einem Durchschnittsabstand von 170 Metern. Damit erfüllt der Waldbesitzer auch die Vorgaben gängiger Waldzertifizierungssysteme wie PEFC oder FSC.
Empfehlungen für die Waldbesitzerpraxis
Die 5 bis 10 möglichst alten, dicken und hohen Habitatbäumen pro Hektar sollten verstreut wie auch gruppiert im Waldbestand vorkommen. Besonders wertvoll sind Habitatbäume entlang von Waldrändern, Bachläufen oder Ufern, da diese potenziell artenreiche Biotope sind. Habitatbäume sollten markiert werden, um sie vor ungewollter Fällung z. B. durch Brennholzwerber zu schützen. Auch eine kartenmäßige Dokumentation oder auch App-basierte Smartphone-Erfassung macht Sinn, um einen Bestandsüberblick zu haben. Bei jeder Durchforstungsmaßnahme können künftige Habitatbaumkandidaten ausgesucht werden. Denn auch Habitatbäume unterliegen der natürlichen Dynamik und kommen und gehen.
Quelle: ThüringenForst, Erfurt
Foto: Dr. Horst Sproßmann